Abiturrede im Dezember 2008

von | 10.12.2008

Auf der Abitur-Abschlussfeier am 12. Dezember 2008 hielt der Schulleiter Bernhard Nadorf die folgende Rede vor der Festgemeinde:

Liebe Studierende, Liebe Angehörige unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Namen der Schulgemeinde des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserer Abiturfeier.

Die letzten mündlichen Prüfungen liegen hinter uns, heute feiern wir gemeinsam unseren Erfolg. Im Mittelpunkt dieser Feier stehen Sie, liebe Abiturienten. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich zur bestandenen Reifeprüfung und wünschen Ihnen alles Gute und Gottes Segen für Ihren künftigen Lebensweg.

Mit dem Prüfungszeugnis, das Sie, liebe Abiturienten heute erhalten, ziehen Sie die Bilanz der vergangenen Jahre an unserer Schule – und diese Bilanz ist beachtlich. Acht Studierende haben das Abitur an unserer Schule mit der Note 1 vor dem Komma abgeschlossen, viele Noten liegen im guten Bereich. Aber unsere Gratulation gilt nicht nur ihnen, sondern allen Abiturienten, die heute hier sind. Denn die Leistung spiegelt sich nicht allein in der Durchschnittsnote wider. Jeder von Ihnen, Jede von Ihnen hat unter den spezifischen Bedingungen, die mit dem Zweiten Bildungsweg verbunden sind, den beruflichen, familiären und persönlichen Belastungen, Außergewöhnliches geleistet.

Zu den Ergebnissen der Abendgymnasien und Kollegs im Zentralabitur 2008 hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung am 05. Dezember eine Presseerklärung herausgegeben, in der es heißt und ich zitiere wörtlich:

In den zentralen Abiturklausuren erreichten die Studierenden der Weiterbildungskollegs knapp das Niveau der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Die landesweite Abiturdurchschnittsnote des Weiterbildungskollegs liegt mit 2,56 sogar leicht über der des Gymnasiums (2,59).

Schulministerin Barbara Sommer: „Die Ergebnisse sind ein Beleg für die hervorragende Arbeit der Weiterbildungskollegs in Nordrhein-Westfalen. Wer sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg machen möchte, erhält an unseren Weiterbildungskollegs ein hochwertiges Bildungsangebot.“

Zitat Ende.

Wer den beruflichen Alltag unserer Studierenden mit dem eines Schülers in der gymnasialen Oberstufe vergleicht und weiß, wie viele Studierende, die nicht in Deutschland geboren sind, unsere Bildungseinrichtungen erfolgreich besuchen, der wird dieses Ranking der Landesregierung in besonderer Weise würdigen.

Damit wird die Gleichwertigkeit der Bildungsabschlüsse im Bereich der Abendgymnasien in eindrucksvoller Weise bestätigt. Es wird gleichzeitig deutlich, dass die Abendgymnasien einen wichtigen Beitrag zur schulischen Qualifizierung und damit zur Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger leisten.

Und so gilt das Kompliment der Ministerin Ihnen allen, sicherlich aber vor allem auch unseren ausländischen Studierenden. Ihre Wiege stand nicht in Essen. Sie stammen aus Kabul und Kandahar in Afghanistan, aus Rybnik und Beuthen in Polen, aus Astana und Alma Ata in Kasachstan und aus der Ukraine.

„The Ruhr meets the world“ dies ist das Leitwort unserer Schule und dieser Abiturientia.

Das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium ist eine Schule im Herzen des Ruhrgebietes und wie diese Region insgesamt von der Migration geprägt. Mit ihren unterschiedlichen und facettenreichen Biographien bilden unsere Studierenden einen Regenbogen, in dem jede Farbe eine unverwechselbare Identität hat. Der Regenbogen ist dann ein Zeichen der Hoffnung und Zuversicht, wenn es uns gelingt, Fremde durch Nähe und Ausgrenzung durch Integration zu überwinden. „Die Kirche kennt keine Fremden“ – so ist der Titel einer gemeinsamen Denkschrift der katholischen und evangelischen Kirche Deutschlands. Und Papst Benedikt XVI sagt in seiner Ansprache zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge im Jahre 2007: „Wenn man der immigrierten Familie keine wirkliche Möglichkeit zur Integration und zur Beteiligung zusichert, lässt sich für sie eine harmonische Entwicklung kaum voraussehen.“ Und er fordert daher die kirchlichen Gemeinschaften auf, „die öffentliche Meinung für die Nöte und Probleme ebenso wie für das positive Potential der Migrantenfamilien zu sensibilisieren.“

Diesem Auftrag ist auch und gerade die Kirche im Bistum Essen, das diese Schule gegründet hat und trägt, verpflichtet. Es ist daher ein integrativer Bestandteil unserer christlichen Grundüberzeugung, dass wir Menschen, die als Fremde zu uns kommen, als Gäste aufnehmen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, sich durch den Erwerb von schulischen Qualifikationen in diese Gesellschaft zu integrieren.

Das Abendgymnasium ist darüber hinaus eine Schule, die dem Prinzip der Bildungsgerechtigkeit verpflichtet ist. Aus den Untersuchungen des Essener Bildungsforschers Prof. Klemm wissen wir, dass der Anteil der Schüler, die in Essen ein Gymnasium besuchen, von Stadtteil zu Stadtteil sehr unterschiedlich ist, und dies lässt sich sicherlich auch auf andere Städte übertragen. Europäische Studien belegen darüber hinaus, dass das deutsche Bildungssystem den Prozess der Selektion der Schüler nach ihrer sozialen Herkunft fördert und sie nicht durch Förderung integriert.

Auch dies spiegelt sich in den Biographien unserer Studierenden wieder. Als sie vor 2 oder 3 Jahren ihre Anmeldeunterlagen vorgelegt haben, da lagen schon viele Schuljahre hinter ihnen – teilweise geprägt durch persönliche Enttäuschung oder auch durch einen Schulabbruch. In den Akten unserer Studierenden finden sich Zeugnisse aller Schulformen von allen Kontinenten. Einige von ihnen haben auch in ihrer Schullaufbahn unterschiedliche Schulformen kennen gelernt, sie begannen am Gymnasium, wechselten dann zur Realschule, von dort zur Hauptschule und haben jetzt das Abitur am Abendgymnasium gemacht.

Vor dem Hintergrund der Erfahrung mit diesen Schulbiographien unserer Studierenden sollten wir als Gymnasium am Abend das Ziel haben, soziale Benachteiligungen zu überwinden und allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und von der finanziellen Leistungsfähigkeit ihres Elternhauses die Chance zu eröffnen, eine schulische Qualifikation zu erwerben.

Bildung ist der Schlüssel zu einer gerechten Gesellschaft, in der jeder Mensch seine individuellen Talente und Begabungen entfalten kann.

Das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium ist als Schule des Bistums Essen den Prinzipien der Integration und der sozialen Chancengleichheit verpflichtet.

Im weltweiten Verbund der katholischen Schulen erfüllt unsere Schule den gleichen Bildungsauftrag wie die von Kapuzinern geführte St. Francis of Assisi Elementary School in Jakarta/Indonesien. Dort wurde im Jahre 1967 der Schüler Barack Obama angemeldet. Sein Vater stammte aus Alego in Kenia und gehörte zum Luo-Volk. Seine Mutter, Stanley Ann Dunham war eine weiße US-Amerikanerin aus Wichita, Kansas. Die Eltern lernten sich als Studenten an der Universität von Hawaii in Manoa kennen. Sie heirateten 1961 in Hawaii zu einer Zeit, als in anderen Teilen der USA Ehen zwischen Schwarzen und Weißen noch verboten waren.

Barack Obama besuchte diese Schule von 1967 bis 1970. Er wurde eigentlich mit allen Benachteiligungen geboren, die man als Kind in Amerika haben konnte: Er war nicht weiß, seine Eltern waren arm und er war ein Migrant – in vielen Kulturen zuhause.

Der Schlüssel für seinen kometenhaften Aufstieg zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika war die Bildung: In Indonesien von 1967 bis 1970, dann zurück in Hawaii an der renommierten privaten Punahou School, deren Ausbildung er 1979 mit Auszeichnung abschloss.

Er studierte am Occidental College in Los Angeles und in Harvard und legte damit die Grundlage für seine außergewöhnliche politische Karriere.

In der Hütte von Afrika, in den Slums von Jakarta und auf der Straße in Bangkok hatte dieser junge Mann einen Traum, an dem er ohne Selbstmitleid unbeirrt festhielt. Wenn Du Dich anstrengst, wenn Deine Eltern Dich auf gute Schulen schicken und wenn Du ein erfolgreiches Hochschulstudium abschließt, dann hast Du eine Chance in dieser Gesellschaft.

Liebe Studierende; nicht jeder von Ihnen kann amerikanischer Präsident werden. Aber vielleicht kann Ihnen auch jemand Hoffnung machen wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der in einer Obdachlosensiedlung aufwuchs, dann das Abendgymnasium besuchte und später Bundeskanzler wurde oder jemand wie unser Namengeber Nikolaus Groß, der Bergarbeiter war, Abendkurse absolvierte und später zur Ehre der Altäre erhoben wurde.

Die Lebensbiographien dieser Menschen sollten uns ermutigen, soziale Benachteiligungen nicht durch zusätzliche Selektion zu vertiefen, sondern zu überwinden.

Symbolisch für den unbeugsamen Willen zur Überwindung von Diskriminierung nach Hautfarbe, Migration und sozialer Herkunft war das Leitwort der Wahlkampagne Barack Obamas „Yes, we can“, das sich mit dem Thema der berühmten Rede Martin Luther Kings „I have a dream“ verbindet.

Vor nahezu 50 Jahren hat der erste Leiter dieser Schule, Herr Heinrich Allekotte, ein Latein- und Griechischlehrer, auf die zeitlose Frage aller Bewerber „Can we?“ mit einem lateinischen Satz geantwortet: Potuerunt hae, et Potuerunt hi, quare non ego?‘ Diese (Frauen) haben es gekonnt, diese (Männer) haben es gekonnt, warum nicht ich?

Liebe Festgemeinde: “ Yes we can“ und „I have a dream“ und „Potuerunt hi oder hae“ an diesem Prinzip der Ermutigung muss sich die pädagogische Arbeit an unseren Schulen orientieren.

Wir sehen immer erst das, was Du gut kannst und nicht was Du nicht gut kannst.

Wenn Du fällst, richten wir Dich auf.

Wenn Du krank bist, dann schicken wir Dir die Unterlagen per email

Wenn Du eine schlechte Arbeit schreibst, dann fördern wir Dich, damit Du die nächste besser schreibst,

Wenn Du Probleme hast, dann lösen wir die Probleme hier und schieben Dich nicht ab.

Wir wollen die Integration und nicht die Selektion, nicht die Entmutigung, sondern die Ermutigung.

Sie liebe Abiturienten stehen am Ende Ihrer Schullaufbahn und Ihre Harvards und Oxfords warten. Wie Barack Obama so können auch Sie Anderen, die am Anfang stehen oder die überlegen, ob sie diesen Weg gehen sollen, Mut machen.

Gleichzeitig ist der heutige Tag auch ein Tag der Ermutigung für Sie auf Ihrem weiteren Lebensweg. Genauso wie wir uns in der Vergangenheit dafür interessiert haben, welche Schulen Sie vor dem Eintritt in das Abendgymnasium besucht haben, genauso werden wir auch Ihren weiteren Weg mit Aufmerksamkeit begleiten.

Sie sind an unserer Schule immer herzlich willkommen, vor allem im nächsten Jahr, in dem wir am 02. Oktober 2009 unser 50jähriges Schuljubiläum feiern.

Und so wünsche ich Ihnen, Ihren Angehörigen und Freunden und Ihnen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie unsere Studierenden auf diesem Weg begleitet haben, einen schönen Abend in unserem Hause, ein frohes und friedvolles Weihnachtsfest, ein gutes und gesundes neues Jahr 2009 und Gottes Segen auf allen Ihren Wegen.